Artikel Permafrost und Vergletscherung

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Butwilowski W.

Pleistozäne und holozäne Vergletscherung und kryogene Prozesse: Vergleichsanalyse am Beispiel des östlichen und westlichen Altais

Altaigebirge ist für die gemäßigte Klimazone ein klassisches Beispiel der Vielfalt gegenwärtiger Vergletscherung und Permafrost sowie der Besonderheiten ihrer Entwicklung im Pleistozän. Um die Ursachen dieser Vielfalt aufzufassen und dadurch einige neue Kenntnisse über möglichen Verlauf der Umweltentwicklung zu gewinnen, wurde von mir eine Vergleichsanalyse am Beispiel des Katun-Koksa-Gebietes des westlichen Altais und am Beispiel des Ulagan-Gebietes des östlichen Altais durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Analyse möchte ich hier vorstellen.

Vorerst sollte man die gegenwärtigen physisch-geographischen Bedingungen beider Gebiete sehr kurz darstellen und vergleichen. Beide Gebiete sind für das Altaigebirge eine typische Kombination aus großen intramontanen Becken, Hochgebirgsrücken, großen Hochebenen, breiten Tälern und tiefen Schluchten (Abb. 1). Die absoluten Höhen, Höhendifferenz und Morphologie des Mesoreliefs Katun-Koksa-Gebietes unterscheidet sich nicht wesentlich vom Mesorelief des Ulagan-Gebietes, das das Einzugsgebiet der Flüsse Baschkaus und Tschulyschman ist. Aber man muss auch bemerken, dass die höchsten Gipfel des Ulagan-Gebietes niedriger sind und die tiefsten Talsohlen hier auch niedriger liegen als im Katun-Koksa-Gebiet. Das ist ein Nachteil für die Existenz der Vergletscherung im Ulagan-Gebiet.

Abb. 1. Topografische Karte Republik Altai

Die Klimabedingungen der Region sind unterschiedlich. Jährliche Summe der Insolation beträgt im Durchschnitt von 70 bis 100 kkal/cm² und erreicht ihr Maximum im Süd-Osten der Region. D.h., dass das Ulagan-Gebiet insgesamt etwas mehr Sonnenenergie im Laufe des Jahres bekommt als das Katun-Koksa-Gebiet und in diesem Aspekt die schlechteren Bedingungen für die Existenz der Vergletscherung hat. Insgesamt erreichen die Niederschläge bis 800 -1000 mm in Randbergketten und sogar bis 1500 mm im Hochgebirge, aber die intramontanen Becken bekommen nur bis 300 mm und noch weniger (Abb. 2). Besonders viel Schnee fällt im und westlichen Altai und die Schneedecke erreicht hier die Mächtigkeit bis 150 – 300 cm. (Abb. 3). Diese Daten zeigen deutlich, dass das Katun-Koksa-Gebiet mehr Niederschläge als das Ulagan-Gebiet bekommt, insbesondere den Schnee. D.h., das Ulagan-Gebiet auch in diesem Aspekt die schlechteren Bedingungen für die Existenz der Vergletscherung hat als Katun-Koksa-Gebiet.

Abb. 2. Klimakarte Altaigebirge (farbig – Niederschlag, mm/Jahr; braune Isolinien – jährliche Durchschnitttemperaturen)
Abb. 3. Dicke der Schneedecke im Altaigebirge (—– 1 – Katun-Koksa-Gebiet; —–2 – Ulagan-Gebiet; türkis gefärbt die Schneedecke über 120 cm dick)

Diese Schlussfolgerungen werden von der rezenten Vergletscherung des Altaigebirges eindeutig bestätigt (Abb. 4). Im feuchten westlichen und nördlichen Altai hat die Schneegrenze die Höhenlage stellenweise von etwa 2100 m, aber im südöstlichen Altai erhöht sie sich bis 3500 m. Deshalb ist die Vergletscherung im Katun-Koksa-Gebiet sehr viel größer als im Ulagan-Gebiet, obwohl das Ulagan-Gebiet teilweise nördlicher liegt. Die gesamte Fläche der Vergletscherung im Altai beträgt zurzeit etwa 928 km². Davon 316 km² oder 34% gehören dem Katun-Koksa-Gebiet und nur 8 km² oder 0,8% der Gletscher befindet sich im Ulagan-Gebiet (außer Tschuiski-Hochgebirgsrücken am südlichen Gebietsrande). Allein Katunski-Rücken hat die Fläche von Gletscher von 307 km² oder 33%. Die Gletscher sind hier von verschiedenen Typen: Karengletscher, Hanggletscher, Talgletscher und Kuppengletscher. Im Ulagan-Gebiet existieren überwiegend die kleinen Karen- und Hanggletscher, nur im nördlichen Teil des Kuraiski-Rückens sind paar kleine Talgletscher bekannt.

Kaltes Klima des größten Teiles der Region bestimmt hier das Vorhandensein des Permafrostbodens. Durchschnittliche jährliche Temperaturen unter 0° C bis -6,3° C sind den Hochgebirgen und hochliegenden intramontanen Becken zu eigen. Gerade dort existieren gegenwärtige Frostböden. Im Altai gibt es fast alle Typen der bekannten Permafrostböden, kryogenen Prozesse und Formen, z. B. polygonale Böden, Kurume, Steinmeer, Steingletscher, nivale Nischen, Pingos, Thermokarst, Solifluktion, Frostkeile, Kryoturbationen.

Abb. 4. Rezente Vergletscherung im Altaigebirge (—– 1 – Katun-Koksa-Gebiet; —–2 – Ulagan-Gebiet).

Die Mächtigkeit der Frostböden schwankt von einigen bis 100-400 m. Nach M. Schaz (1978) werden die Permafrostböden auf 3 Höhengürtel verteilt (Abb. 5). Man soll auch betonen, dass die untere Grenze der Frostböden im östlichen Altai bis 500 m niedriger liegt als im westlichen Altai. Die Entstehungsbedingungen der Frostböden im östlicher Altai sind günstiger als im westlichen Altai. Dies ist die Folge von kleinerer Mächtigkeit der Schneedecke und von etwas kälteren Klimabedingungen im östlichen Altai. Obwohl der östliche Altai die bis 500 m niedriger liegende Permafrostböden hat, wurden hier nur die Spuren von holozänen kryogenen Prozessen festgestellt, so haben auch 14C-Daten gezeigt. Westlicher Altai dagegen hat meistens die Spuren von spätpleistozänen kryogenen Prozessen. Diese Spuren befinden sich sogar bis 1500 m niedriger als die gegenwärtige untere Frostbodengrenze und sind viel größer als die holozänen kryogenen Formen. Wie unsere 14C-und stratigraphischen Daten auch gezeigt haben, bildeten sich diese kryogene Formen im Spätpleistozän zwischen 22 und 18 tausend Jahren. Natürlich entsteht die Frage, warum sind diese Gebiete in diesem Aspekt so unterschiedlich?…

So ein Vergleich dieser Gebiete ist von mir mit ganz bestimmtem Ziel gemacht worden. Es ist logisch zu meinen, dass die Gebiete, die im Prinzip viele fast gleiche physisch-geographischen Bedingungen haben, genauso gleich auf die Änderungen der physisch-geographischen Bedingungen reagieren sollten. Wenn es in Betracht gezogen werden muss, dass das Katun-Koksa-Gebiet doch eine günstigere geographische Lage und Bedingungen für die Vergletscherung hat, was auch durch die rezenten Daten bestätigt wird, so ist es logisch zu behaupten, dass in der letzten Eiszeit die Bedingungen für die Entwicklung der Gletscher hier auch viel günstiger waren, als im Ulagan-Gebiet. Deswegen sollte die Vergletscherung im Katun-Koksa-Gebiet auch genau so mächtig oder sogar viel mächtiger sein als im Ulagan-Gebiet.

Abb. 5. Schema von Permafrostböden im Altaigebirge (nach Schaz, 1978).

Aber was zeigen die geologischen und geomorphologischen Daten für diese Gebiete? Die Rekonstruktionen ihrer spätpleistozänen Vergletscherung sind sehr unterschiedlich. Doch ihre Verfasser sind in einem einig: im Ulagan-Gebiet findet man die Spuren der Vergletscherung fast überall und diese Spuren lassen sich hier eine mächtige, sogar deckartige Vergletscherung rekonstruieren. Im Gegensatz lasen sich deutlich ausgeprägte Vergletscherungsspuren im Katun-Koksa-Gebiet nur im Hochgebirge eine netzartige Vergletscherung rekonstruieren. Warum beobachtet man in einem Gebiet die Vergletscherungsspuren fast überall, aber in anderem, ausschließlich des Hochgebirges, sind sie nicht vorhanden, obwohl dieses Gebiet sogar viel günstiger für die Entwicklung der Vergletscherung ist und auch war? Das ist ein Paradox. Aber wo ein Paradox vorhanden ist, dort muss man nach der Wahrheit suchen.

Um dieses Rätsel zu lösen, sollte man die Verbreitung von glazialen Formen und Sedimenten im Katun-Koksa-Gebiet betrachten. Die Spuren glazialer Tätigkeit findet man in Hochgebirge des Katun-Koksa-Gebietes fast überall nur ab 2100 m und höher (Abb. 6). Durch diese Spuren wird hier sicher die Existenz einer netzartigen Vergletscherung rekonstruiert, die auf niedrigen Höhen in Art von Bergtal-Vergletscherung umwandelte. Aber die Endmoränen, nivalen Karen und Nischen, fluvioglazialen Deltas und anderen Formen glazialer Tätigkeit sind hier mit dem Höhenniveau von 1300-1400 fast überall beschränkt. Niedriger 1300 m gibt es hier keine glazialen Spuren. Dieses Niveau umrahmt fast überall die geomorphologisch und hypsometrisch mannigfaltige Peripherie der Ujmon- und Abai-Becken. Seine Höhe hängt nicht von den Höhen und Flächengrößen der „Nahrungsgebiete“ der Gletscher ab. Nur im Bereich von der Mündung des Flusses Akkem bis zur Mündung des Flusses Argut sind die Moränen im Katun-Tal auf absoluten Höhen von 900 bis 1600 m gut erhalten, was sicher nicht zufällig ist. In den benachbarten Gebieten des westlichen Altais, z. B. im Einzugsgebiet Anui und Tscharysch, beobachtet man nivale Nischen oder Moränen stellenweise auf absoluten Höhen von 700-500 m, d.h. irgend-welcher ungewöhnlicher Faktor hat die glaziale Tätigkeit im Katun-Koksa-Gebiet beschränkt.

Abb. 6: Paläogeographisches Schema des Altaigebirges für die Zeit der letzten Vergletscherung (Spätwürm; —— 1 – Katun-Koksa-Gebiet; —— 2 – Ulagan-Gebiet).

So eine Situation scheinbar widerspricht der logischen, in Praxis approbierten Lehre über die Schneegrenze und die Gletscherentwicklung. Es ist schon lange bekannt, dass je höher und größer das Einzugsgebiet oder „Nahrungsgebiet“ des Gletschers ist, desto länger der Gletscher sein soll und desto niedriger seine Endung liegen kann. Aber im Koksa-Gebiet ist diese Regel für pleistozäne Vergletscherung nicht der Fall. In diesem Fall ist klar, dass die gleiche Höhenlage der Endmoränen sicher ein anderer Faktor bestimmt hat. Als nur eine mögliche Variante der Erklärung dieses Phänomens kann die Anerkennung der Existenz eines riesigen Stausees mit dem Wasserniveau bis von 1400-1300 m im Bereich des Mittelgebirges dieses Gebietes und in seinen intramontanen Becken. Für die Existenz eines solchen Sees gibt es viele Daten: Seesedimente, Brandungsterrassen und Abflusskanäle. Ihre Parameter bestätigen die Existenz eines riesigen Eisstausees mit höchstem Wasserniveau bis 1390 m (Abb. 7).

Abb. 7. Rekonstruktion des Eisstausees (Rerich-See) im Katun-Koksa-Gebiet (nach Butwilowski, Prechtel, 2000; Bailagasov u.a., 2012).

Gerade durch diesen See mit solchem Niveau konnten die Vorstöße der Gletscher beschränkt werden, unabhängig von Höhen und Größen ihrer „Nahrungsgebiete“, weil bei dem Vorstoß der Gletscherzungen in den See das Kalben von Gletschern und das Aufhören ihrer glazialen Tätigkeit unvermeidlich sind. Dabei passiert folgendes: wenn ein großer Gletscher ein Quertal erreicht, dann ist dieser Gletscher gezwungen dieses Tal einzutreten und zu sperren. Im Quertal entsteht ein Stausee. Dieser Stausee kann sehr schnell sein Niveau steigen und den Eis-Moränendamm erodieren oder diesen Damm katastrophal schnell durchbrechen und gewaltige Eismassen vernichten. Dabei verschwindet der Stausee selbst, aber er lässt damit den Gletschern keine Möglichkeit, ihr Ausmaß zu vergrößern. Das kann sich mehrmals wiederholen, und der Erfolg in diesem „Kampf“ hängt von der Energie der Gletscher, von klimatischen Bedingungen, vom Relief angrenzender Territorien ab. Das ist logisch und verständlich, und das findet seine Bestätigung durch viele Beispiele aus den Gebieten der rezenten Vergletscherungen.

Warum waren diese zwei Gebiete so unterschiedlich vergletschert? Die Lösung ist einfach. Diese Gebiete unterscheiden sich bei aller ihrer Ähnlichkeit durch eine kleine, aber sehr wichtige Einzelheit. Die Bereiche der maximalen Höhen im Einzugsgebiet Baschkaus und Tschulyschman befinden sich nicht in der Nähe des Unterlaufes dieser Flüsse, sondern in ihrem Oberlauf und in ihrem östlichen Teil, dabei übertritt wesentlich kein Bereich dieser Hochgebirge die anderen Hochgebirge. Der Höhenunterschied zwischen ihnen ist hier nicht mehr als 200 – 400 m. Das bedeutet, dass hier keinen von Gebirgen die Vorteile für die Vergletscherungsentwicklung haben und hatten. Darum war hier das Vordringen der Gletscher gleichmäßig, einschließend der tiefen Haupttäler, und umfasste dabei fast alle Rayone gleichzeitig. Die meisten Gletscher flossen synchron zusammen. Die Stauseen entstanden dabei auch, aber im Vergleich mit Katun-Koksa-Gebiet waren sie sehr klein und nicht tief. Solche Stauseen hatten keine wesentliche Gegenwirkung auf die Vergletscherungszunahme im Laufe der transgressiven Phase der Eiszeit; umgekehrt, sie „sättigten“ sich ganz schnell von Eisbergen, froren und vergrößerten die allgemeine Fläche der Gletscher, stärkte dabei die Albedo der Region, das allgemeine Absinken der Temperatur und als Ergebnis davon war hier eine riesige Eisdecke entstanden.

Im Katun-Koksa-Gebiet musste alles anders verlaufen. Der Gebirgsstock Belucha als „Nahrungsgebiet“ der Vergletscherung des Akkem-Tals, das sich in der für die Vergletscherung besten Position (nördliche Exposition) befindet, erhebt sich sogar über das Hochgebirge des Katunski-Rückens sehr stark (fast um 1500 m) und über alle anderen Hochgebirge des Gebietes um 2000 m. Belucha erreicht bis 4500 m absoluter Hohe. Darum hatte dieser Gebirgsstock einen absoluten Vorrang bei der Entwicklung der Vergletscherung sowie die größte Geschwindigkeit des Vordringens des Hauptgletschers Akkem in intramontanes Uimon-Becken. Außerdem befindet sich dieser Gebirgsstock im Osten des Gebietes neben dem niedrigsten Teil des Uimon-Beckens, deshalb wurde bei dem Ausgang seines größten Akkem-Gletschers ins Uimon-Becken und Katun-Tal einen riesigen See erschaffen, und die Vergletscherung wurde hier anders zu entwickeln gezwungen, genauso wie dieser Stausee. Der Hauptgletscher und durch ihn gebildeter Stausee kontrollierten die paläogeographische Situation in ganzem Gebiet. Die Vergletscherung wurde hier nicht nur wegen der Ablation beschränkt, sondern auch wegen der Selbstvernichtung durch den Stausee, den der Akkem-Gletscher selbst gebildet hat.

Auch ist jetzt klar, warum sind die Spuren von spätpleistozänen kryogenen Prozessen meistens im westlichen Altai gebildet. Der größte Teil dieses Gebietes war üblich frei von Vergletscherung und Stauseen und war ein günstiger Bereich für die Einwirkung der kryogenen Prozesse. Unter der Eisdecke des östlichen Altais war der Verlauf kryogener Prozesse fast unmöglich.

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